Wir sind eine überforderte Gesellschaft und ich bin wütend

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  • Post last modified:Feber 1, 2021
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Heute möchte ich meine Gedanken zum Thema Überforderung teilen. Einzelne Menschen, Familien, Vereine, Unternehmen, Berufsgruppen, ein Gesundheitssystem, eine gesamte Gesellschaft & Länder … es gibt einfach so viele Gruppen die überfordert sein können. Gefühlt sind wir eine überforderte Gesellschaft. Dabei wirkt die Überforderung des Einzelnen auf jeden Anderen.

Es gibt einen Grund warum ich mir zu dem Thema Gedanken mache. Es hat wenig mit den derzeitigen Weltgeschehnissen per se zu tun. Vielmehr ist mir aufgefallen wie jeder Einzelne und jede Einzelne am Kämpfen ist – inklusive mir selber. Bei Anderen kann ich dies natürlich nicht mit Garantie sagen. Vermutlich darf ich es mir nicht einmal erlauben so etwas zu behaupten. Ich bin ein Beobachter: ich sehe, höre und nehme wahr.

Sehen, hören und wahrnehmen und versuchen zu verstehen. Auch bei mir selber? Ja, insbesondere bei mir selber.

Ein Beispiel aus der Praxis: Kommunikation zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber

Ich arbeite derzeit an einigen Webdesign & SEO Projekten. SEO steht übrigens für Seach Engine Optimization, zu Deutsch also Suchmaschinenoptimierung. Ich wurde für diese Projekte beauftragt, es handelt sich jedoch nicht um Projekte welche man gänzlich alleine abwickeln kann. Wie so oft benötigt es Teamwork bzw. zumindest einen Austausch an Informationen und notwendigen Feedback zu Projektentwicklungen. Darüber hinaus findet diese idealerweise nicht einmalig sondern regelmäßig statt.

Obwohl ich ein Dienstleister bin, betrachte ich dies also durchaus als Teamwork, wobei mir klar ist, dass der größte Teil der Arbeit und die Koordination bei mir liegen. Trotzdem gibt es eine bestimmte Abhängigkeit vom Auftraggeber. Denn ich kann nicht wissen was sich der Auftraggeber wünscht, welche Vorstellungen es gibt, welche Designelemente gefallen, welche Inhalte und Bilder relevant sind, uvm.

Nun sind meine ersten Erfahrungen in diesem für mich neuen Geschäft als SEO Webdesign Dienstleister eher negativ. Warum ist das so?

  1. Es ist mir nicht gelungen die Auftraggeber zur Mitarbeit zu bewegen
  2. Es ist mir nicht gelungen ein Feedback der Auftraggeber zu erhalten
  3. Es ist mir nicht gelungen Input wie Texte und Multimediadateien zu erhalten
  4. Es kostete mich viel Zeit und Aufwand und vielfache Versuche um einfache Dinge wie z.B. Zugangsdaten zu erhalten

Ich bin kurz davor zu behaupten, dass nach dem Beschluss zur Zusammenarbeit (also nach Projektstart) die eigentliche Zusammenarbeit endete. Ich stand alleine da, bestellt und nicht abgeholt, versuchte auf verschiedenste Wege Kontakt aufzunehmen und Informationen und Feedback zu erhalten. Vergebens.

Die offensichtliche Überforderung anderer überfordert mich

Nach diesen ersten Erfahrungen beginne ich an mir selber zu zweifeln. Ich beginne Dinge zu hinterfragen und versuche Erklärungen zu finden.

  • Habe ich etwas falsch gemacht?
  • Habe ich auf falschem Weg kommuniziert?
  • Habe ich jemanden gekränkt?
  • Bin ich nicht gut genug?
  • Nimmt mich der Auftraggeber nicht ernst? Falls ja, warum ist das so?
  • Was ist falsch an mir?

Die Spirale dreht sich weiter. Ich beginne an mir selbst zu zweifeln und hinterfrage meinen Plan der Selbständigkeit. Die Motivation an den Projekten zu arbeiten sinkt, da ich ohnehin nur für mich selbst arbeite. Wo ich zuvor noch zu Höchstleistungen in der Lage war, schleicht sich nach monatelangem hingehalten werden eine schwere Prokrastination ein.

Mit der Überforderung kommt Wut und die Suche nach den Schuldigen

Ich bin wütend. Wütend auf die Auftraggeber. Wütend, dass Projekte welche in wenigen Wochen umgesetzt und fertiggestellt werden könnten einen monatelangen Stillstand durchhalten müssen. Ich bin wütend, dass ich warten muss, keine Themen abschließen kann und es mir dabei selber schwer fällt neue Projekte anzunehmen.

Es gibt eine bestimmte Grenze an Projekten an denen man vernünftig parallel arbeiten kann. Zu viele verschiedene Projekte zur gleichen Zeit bedeuten einen massiven Overhead. Es ist nicht mal mehr annähernd wirtschaftlich rentabel.

Ich bin davon überzeugt, dass ich gute Arbeit leiste. Aber ich bin nicht in der Lage ein einziges Projekt abzuschließen. Meine Nerven liegen blank. Ich denke an meine Projektkalkulationen. Da passt einfach gar nichts mehr. Ich denke daran wie ich eigentlich finanziell überleben soll.

Dann merke ich jedoch etwas. Es geht nicht nur um mich. Die Auftraggeber sind (auch) überfordert. So sehr überfordert, dass sie nicht oder kaum in der Lage sind meine Emails, Nachrichten, oder Anrufe zu beantworten. Folglich ist es nicht einmal möglich einen Termin zu vereinbaren. Gefühlt habe ich alles versucht: synchrone Kommunikation, asynchrone Kommunikation, Vorschlag zu Telefonat, Workshop, etc.

Für mich sieht es mittlerweile so aus als wollen viele Auftraggeber neue Projekte angehen, haben dann aber eigentlich selber keine Ressourcen verfügbar. Oder zumindest sieht es danach aus als gäbe es keine Prioritäten dafür. Warum dann überhaupt neue Projekte angehen frage ich mich?!

Da ist noch etwas was mir aufgefallen ist. Wenn ich am arbeiten bin, dann bin ich schnell. Manchmal hochperformant. Ich gebe nicht auf, ich mache viele Überstunden bis spät in die Nacht, arbeite freiwillig und ohne es zu verrechnen an weiteren Verbesserungen und Ideen. Für einige Zeit bekomme ich dadurch nur noch mehr Energie. Genau mit dieser Energie und Motivation konfrontiere ich möglicherweise die Auftraggeber. Möglicherweise ist es einfach zu viel.

Was bedeutet das jetzt?

  1. Ja, mit Sicherheit sind sehr viele Auftraggeber selber sehr überfordert (was zuletzt auch mich überfordert, da ich mich dann im Kreis bewege)
  2. Meine eigenen Ansprüche an Professionalität und Perfektion können einen Druck beim Auftraggeber erzeugen (das Resultat, keine Kommunikation, kein Input, Stillstand)
  3. Auch der Auftraggeber hat hohe Ansprüche und kommt somit selbst nicht voran
  4. Ich habe womöglich einfach nur Pech gehabt und es wird bei den nächsten Projekten anders ablaufen

Diese hohen Ansprüche. Von wo kommen die?

Ich denke einfach wir sind umgeben von sehr viel Perfektion. Wir konsumieren täglich Perfektion. Für manche Menschen (und dazu gehöre ich selber auch) wird es schwieriger etwas einfach umzusetzen, wenn es doch sehr gut umgesetzt werden könnte.

Dann gibt es noch die Erwartungshaltungen. Unsere eigenen Erwartungen sowie die wahrgenommenen und tatsächlichen Erwartungen Anderer.

Wir wollen immer mehr erreichen. Wir streben nach Verbesserung, mehr Besitz, mehr Luxus, mehr Schönheit, mehr Wachstum, einen besseren Status.

Das Resultat: wir laufen, und laufen, bis wir nicht mehr können. Und dann laufen wir weiter. Insgesamt sind wir dabei alle überfordert.

Oder bin ich es?!

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